Der erfüllte Traum

Viele Jahre meiner Freizeit widmete ich dem Angelsport. Ich war ihr verfallen, der Jagd nach den absoluten Ausnahmefischen. Ich angelte in allen erdenklichen Gewässern von denen man wusste, dass dort schon riesige Fische gefangen wurden. Mir war es dabei völlig, egal ob ich meine Angeltage neben einer Müllhalde oder mitten in einem Industriegebiet verbrachte. Nur das Ergebnis war von Bedeutung. Ich versuchte meine Fischerei so zu optimieren, dass nichts dem Zufall überlassen wurde. Ich versuchte das Glück auf ein Minimum zu reduzieren und ihr könnt mir glauben, Glück braucht man jede Menge, trotz aller Erfahrung und Wissen die man sich beim Karpfenangeln angeeignet hat. Wie sagt man immer so schön: Es muss dein Name auf dem Fisch stehen…

In meinen Träumen stand bei einigen Großkarpfen groß und breit Oliver Haselhoff drauf. Leider landeten die wenigsten davon in meinem Kescher. Trotz bester Gewässerkenntnisse und Informationen, wie, wo und mit was der begehrte Traumkarpfen, in den letzten Jahren gefangen wurde, führte das nicht immer zwangsläufig zum Erfolg. So vergingen die Jahre und ich verbrachte viele tausend Stunden am Wasser. In dieser Zeit erlebte ich alle Höhen und Tiefen, die das Karpfenangeln so mit sich bringen. Ich wurde am Angelwasser ausgeraubt, ein Mistral zerstörte den Grossteil meiner Ausrüstung, wochenlange Blanks, neidische Angelkameraden, unglaubliche Kälte, wochenlanger Dauerregen, usw. Aber ich fing auch Fische. Mittlerweile habe ich in vier verschiedenen Ländern Fische über zwanzig Kilogramm gefangen, doch ein großer Traum blieb mir bisher verwährt. Ein Fisch über fünfundzwanzig Kilogramm aus einem deutschen Gewässer. Das sollte sich ändern. Leider kannte ich zu dieser Zeit kein Gewässer, in dem so ein Ausnahmefisch lebte. Das änderte sich schlagartig, als ich von einer Fangmeldung aus dem Neckar hörte. Ein absoluter Traumfisch von über 28 Kilogramm, mit einem megageilen und extravaganten Schuppenbild. Fänger war mein heutiger Freund Tomislav Popovic. Bei näherembetrachten der Fotos war mir sofort klar, dass dieser Fisch mein Jahreziel werden sollte. Trotz genauester Planung und höchst möglichem Einsatz, der vor der Familie und dem Arbeitgeber verantwortbar war, blieb mein Werben um Big Ben erfolglos. Ich fischte ca. drei Tage pro Woche am Neckar und versuchte einmal unter der Woche eine Nacht am Neckar zu verbringen, um am nächsten Morgen noch zwei Angelstellen mit Futter zu präparieren, die ich dann am Wochenende beangelte. Von den enormen Kosten abgesehen (was die Köderherstellung und die Spritkosten verschlangen) fand ich an diesem Fluss zu dieser Zeit alles das vor, was ich am Angeln hasse. Endlose Stunden im Stau, bis man die unglaubliche Entfernung von einhundertdreißig Kilometern bis zu seinem Angelplatz hinter sich gebracht hatte.

Unzählige Hochwasser, die einem das Leben schwer machen und der dauernd anhaltende Schiffsverkehr über Tag und zum Teil auch in der Nacht, zehrte an den Nerven. Die Bisse, wenn sie kamen, erfolgten eigentlich nur Nachts. Tagsüber hätte man seine Ruten genauso zum Tomaten züchten nehmen können. Der Erfolg wäre der gleiche gewesen. Des weiteren machte einem die angelnde Konkurrenz zu schaffen. Die besten Angelplätze waren mehr oder weniger das ganze Jahr besetzt. Dies mit der Folge, man angelte die meiste Zeit nur auf zweit bis drittklassigen Angelplätzen. Doch was das Schlimmste war – schlecht gefangen habe ich auch noch. Big Ben war wie vom Erdboden verschollen. Wahrscheinlich hat ihn irgend ein Idiot umgesetzt. Obwohl einige wenige schöne Fische meine Unhooking Mat persönlich kennen lernten, muss ich ehrlicher Weise gestehen, stand es in keinem Verhältnis zu dem Aufwand und den Kosten. Der Spaßfaktor war weit unter Null. Die wenigen Fische konnten nicht über die vielen negativen Begleiterscheinungen hinwegtäuschen. Ich war nach diesem Jahr völlig ausgebrannt und es umgab mich eine innerliche Leere. Ich hatte vom Karpfenangeln die Nase erst mal gestrichen voll. Ich widmete meine Zeit wieder den Sachen die mir wirklich Freude bereiteten, denn das Leben ist viel zu kurz um Dinge zu tun die einem nicht wirklich Spaß machen. Ich beschäftigte mich viel mit dem Pferdesport und meiner Familie, so dass die Angelei immer mehr eine Nebensächlichkeit wurde. Ich weis nicht mehr, wie lange es dauerte, bis mich der Karpfenvirus wieder zwickte. Über ein Jahr lag dazwischen bis ich erneut mein „Petri Heil“ an einem Gewässer versuchte. Doch bevor ich wieder unter die Karpfenangler ging, änderte ich meine Prioritäten erheblich. Die Fischgröße spielte zunächst einmal eine untergeordnete Rolle. Wichtigste Voraussetzung war, dass das Nachtangeln geduldet oder erlaubt ist. Fast genauso wichtig wie das Nachtangeln ist die Lage des Gewässers. Müllhalden, Autobahnen und Kraftwerksausläufe sind genauso tabu wie irgendwelche Karpfenpuffs. Ich ging wieder häufiger zu zweit zum Fischen und erlebte dadurch, dass eine Freundschaft mehr wert sein kann als der eine oder andere mehr gefangene Fisch.

Das heißt nicht, dass ich nicht mehr alleine zum Fischen gehe. Ich liebe die Ruhe und die Einsamkeit am Wasser die man braucht um mal richtig abschalten zu können. So vergingen die Jahre, aber ein Fisch über fünfundzwanzig Kilogramm in Deutschland war leider nicht dabei. Wie es die Zeit so mit sich bringt, bleiben einem die Träume erhalten und die negativen Erlebnisse verschwinden nach und nach aus dem Gedächtnis. Inspiriert und motiviert durch einen Bericht im Carp Mirror, in dem Reiner Lutz seinen Fangbericht über die Kugel zum besten gab, beschloss ich dieses Jahr erneut mein Glück am Neckar zu versuchen. Zielfisch war die Kugel, zumal ich diesen Fisch für Tomislav Popovic schon einmal keschern durfte. Um es kurz zu machen, es war genauso wie früher – nur mit einem Unterschied, dass mich am ersten Angeltag gleich die netten Herren von der Wasserschutzpolizei kontrollierten. Wie immer wenn schlechtes Wetter ist, baute ich zuerst meinem Wetterschutz auf (ein Weekend Tripper ohne Frontseite). Die Polizisten hielten es nicht für nötig zu Grüßen oder sonst eine Bemerkung von sich zu geben. Statt dessen fingen sie kommentarlos an, mein Weekend Tripper zu fotografieren. Auf meine Frage, was sie da machten, wurde mir liebenswürdiger Weise mitgeteilt, dass wild campen verboten ist. Die Folge war ein Strafzettel von achtundsiebzig Euro. Das muss man sich mal vorstellen. Gerade angekommen und noch keine Rute im Wasser, aber schon achtundsiebzig Euro beim Teufel. Ich hätte mir vor Wut in den A…. beißen können! Leider hätte das auch nichts genutzt. Cirka zwei Wochen später fand ich mich wieder am Neckar ein. Und wie sollte es auch anders sein, am zweiten Tag kontrollierte mich ein mir sehr wohl bekannter Polizist. Als er mich fragte wo ich denn über Nacht bleiben wollte, beschloss ich das Angeln am Neckar abzubrechen. Ich hatte keine Lust mehr auf weiteren Ärger und Versteck- Spiel. Ich beschloss daraufhin, in einen Angelverein in der Nähe von Tübingen einzutreten. Dort war das Nachtangeln seit Jahren geduldet. Es gibt dort zwar keine 25 Kilo Fische, doch die größten Karpfen haben immerhin ein Gewicht um die zwanzig Kilogramm. Nachdem ich stolze vierhundert Euro los war, durfte ich dort mein Glück versuchen. Meine ersten Angelversuche verliefen recht zufriedenstellend. Leider wurde das Angelglück recht schnell beendet. Nachts um halb drei stand ein Herr namens J. da, mit seinen lieben Kollegen. Das Ergebnis war ein Strafzettel, über fünfunddreißig Euro und die Angelkarte die ich seit drei Wochen besaß war konfisziert. Wie sich später herausstellte, hatte uns ein früherer Karpfenangler angezeigt. Der Blitz soll ihn dafür beim S…… treffen! Aber selbst das würde an meiner jetzigen Situation leider nichts verändern. Ich muss zugeben, der ganze Ärger ekelte mich so an, dass ich erneut beschloss erst einmal die Angelei einzustellen. Der Jahrhundertsommer tat sein übriges dazu. Erfahrungsgemäß beißen ja die Karpfen nicht so besonders, wenn das Wasser kurz vor dem Kochen ist. Es war bereits Spätsommer, als mir ein befreundeter Karpfenangler von einem Gewässer erzählte, in dem schon sehr große Karpfen gefangen worden waren. Da anscheinend das Nachtangeln geduldet wurde, beschloss ich mich erneut auf ein neues Gewässer einzulassen. Ich muss sagen, ich war hoch motiviert. Trotz genauester Vorbereitung und Microwave-Ködern fuhr ich den ersten Sitzungen nur Blanks ein.

Das störte mich nicht weiter, zumindest hatte ich noch keinen Strafzettel und im Besitz meiner Angelkarte war ich auch noch. Auf jeden Fall, wollte ich dieses Jahr nicht mit einem Blank beenden. Ich beschloss zwei Tage vor der Braunfels – Messe wieder am Start zu sein. Ich muss zugeben, ich rechnete mir von diesem Wochenende viel aus. Die liebe Konkurrenz wird sich höchstwahrscheinlich das Highlights des Jahres (was Messeveranstaltungen betrifft) nicht entgehen lassen wollen. So war es dann auch. Dass Gewässer war wie ausgestorben. Kein Angler weit und breit, was für mich freie Platzwahl bedeutete. Schnell war mein Zelt aufgestellt und ich war mit meinem Schlauchboot auf dem Gewässer. Es regnete in Strömen, trotzdem beschloss ich erst einmal die Bojen meiner Vorgänger zu entfernen um dann meine Platzwahl neu zu gestalten. Ich fütterte vier Plätze in unterschiedlichen Tiefen mit Partikeln und ein paar wenigen Boilies. Mein Plan war folgendermaßen: Zwei Plätze wurden erst mal nur gefüttert, brachten die ersten Angelstellen keinen Erfolg, hat man noch zwei gut präparierte Angelplätze in Petto. Die Ruten waren nach meinem Wissen bestmöglichst platziert, so dass das Warten beginnen konnte. Petrus muss in dieser Nacht sehr traurig gewesen sein, denn es regnete in Strömen. Mitten in der Nacht wurde mein Hund im Zelt unruhig. Im Schein meiner Taschenlampe erkannte ich sofort die Misere. Mein Zelt stand unter Wasser. Eine große Pfütze hatte sich in meinem Zelt gebildet. Fast alle meine Ersatzklamotten und Bücher waren nass und das bei ca. fünf Grad Außentemperatur. Also erst mal Wasser schöpfen und die Klamotten in den noch trockenen Teil des Zeltes bringen. Die weitere Nacht verlief mit Wasser schöpfen und null Hup. Gegen Mittag des nächsten Tages – die Zeltheizung lief auf Hochtouren und ich war mit lesen und Klamotten trocknen beschäftigt – kam der ersehnte Biss. Ein kurzer „Piep“ und die Rutenspitze neigte sich langsam nach vorne. Es war die Rute die am weitesten entfernt, an einer vier Meter tiefen Kante platziert war. Kurze Zeit später war ich mit meinem Boot über dem Fisch. Der Fisch stand tief und zog mich über das Gewässer. Irgendwie kam in mir eine Art Cassien-feelling auf. Als ich dann den Fisch in dem klaren Gewässer zum ersten mal sah, wurde ich mehr als nur ein bisschen nervös. Kurze Zeit später als der Karpfen in meinem Kescher lag, wusste ich, dass dieser Fisch zwanzig Kilogramm auf die Waage bringen könnte. Dem war auch fast so; bei 19,8 Kilogramm blieb die Waage stehen.

Zum Glück kam in diesem Moment ein Spaziergänger vorbei, der mich mit dem Fisch ablichten konnte. Das Wetter blieb gleichbleibend schlecht und am nächsten Morgen schrie erneut der Micron um Hilfe. Nach kurzer Gegenwehr konnte ich ein Spiegelkarpfen von 12,5 kg landen, den ich nach dem Wiegen sofort wieder zurück setzte. Der Tag verlief weitgehend ruhig außer das es schweine- kalt war. Ich dachte gerade an meine Kumpels in Braunfels, die sich sicherlich im Moment gerade in dass Karpfenangler Nachtleben stürzten, da meldete sich erneut der Micron. Also ab in die Regenklamotten und Action. Nach ca. fünf Minuten ergab sich ein wunderschöner Spiegelkarpfen von 14,2 Kilogramm. Da ich es absolut hasse, Fische über Nacht einzusacken setzte ich den Fisch erneut ohne Foto zurück. Dabei nahm ich mir fest vor, von dem nächsten freien Geld, ein brauchbares Selbstauslöser System zuzulegen. Denn solche Fische fange ich auch nicht jeden Tag. Nachdem ich die Rute neu platziert hatte, erhielt ich kurze Zeit später einen Fehlbiss. Nach erneutem Auslegen der Rute zeigte die Uhr 23.30 an. Ich haute mich erneut mit meinen feuchten Klamotten in den Schlafsack, aber an mollige Wärme war mit diesen Klamotten leider nicht zu denken. So fror ich den Rest der Nacht vor mich hin, bis ich erneut von einem Run von meiner Distanz Rute aufgeschreckt wurde. Es war tatsächlich mittlerweile schon hell geworden. Nach einem erfolgreichen Anhieb fand ich mich kurze Zeit später im Boot wieder. Ich pumpte mich so lang an den Fisch heran, bis dieser direkt unter mir war. Doch der Fisch blieb tief und zeitweise dachte ich, der Fisch hätte sich am Grund festgesetzt. Meine Fat Boy war bis zum Handteil durchgebogen, trotzdem tat sich in den ersten Minuten rein gar nichts. Meine Nervosität stieg dabei stetig, denn der Fisch war nicht vom Grund wegzubekommen. Er zog mich dabei langsam durch das Gewässer. Nach ca. zehn Minuten löste sich der Fisch vom Grund und ich konnte Meter für Meter an Schnur zurück gewinnen. Kurze Zeit später ließ der Fisch zum ersten mal Luft ab. Ich kniete im Boot und schaute gespannt in das klare Wasser. Plötzlich bekam ich den Fisch zum ersten Mal zu Gesicht – es war ein Gigant. Ein Riese Mir rutschte das Herz in die Hose und vor Aufregung zitterte ich am ganzen Körper. Wenig später umschlungen die Maschen meines Keschers diesen Riesen. Während ich ans Ufer ruderte vergoss ich die eine oder andere Glücksträne. Am Ufer wurde ich schon von einem anderen Angler empfangen der die Szenerie beobachtet hatte. Als wir den Fisch wogen, blieb die Waage bei sagenhaften 31,2 Kilogramm stehen. Der größte Fisch, den ich je gefangen habe. Ich jettete kurzzeitig in eine andere Galaxie und mein Handy lief heiß. Zuerst rief ich mein Freund Robby Smolyan an. Obwohl ich wusste, dass er erst Samstag Nacht von Braunfels nach Hause gekommen war, wollte ich ihn bitten vorbei zu kommen, um den Fisch zu fotografieren.

Als ich ihn dann endlich schlaftrunken an der Strippe hatte, wollte er mir erst kein Wort glauben. Trotzdem sicherte er mir zu, dass er sofort losfahren wollte. Fünf Minuten später klingelte mein Handy und Robby sagte zu mir: „Du erzählst mir nachher keine Story, dass der Karpfen aus dem Sack abgehauen ist?.“ Ich versicherte ihm, dass ich mich mit meinem Stuhl vor den Karpfensack setzen würde und dass der Fisch nur über meine Leiche aus dem Sack verschwinden würde. Bis Robby kam verging eine halbe Ewigkeit, ich zappelte auf meinem Stuhl herum, vor dem Karpfensack sitzend, wie ein kleines Kind und trank Cola in Unmengen vor lauter Nervosität. Dabei war er keine zwei Stunden später an meinem Angelplatz (er muss geflogen sein). Er machte die besten Fotos, die bei diesem Wetter möglich waren. Robby vielen, vielen Dank an dieser Stelle, du bist ein wahrer Freund! Nachdem ich den Fisch zurück gesetzt hatte und ich irgendwann alleine noch immer fassungslos auf meinem Angelstuhl saß, umhüllte mich ein tiefes Gefühl der inneren Zufriedenheit. Ich schwelgte in Erinnerungen an vergangene Trips und muss dabei feststellen, dass ich auf diesen Fisch nicht nur vier Tage meines Lebens geangelt habe, sondern dreiundzwanzig Jahre meines Anglerlebens gewartet habe.

All the Best.
Oliver Haselhoff